Beyond Transformation Blueprint – Fünf Beiträge aus der Organisation, die für unseren Wandel entscheidend waren
von Laura von ChamierOrganisationsentwickler:in, Change-Expert:in, Transformationsmanager:in – wahrscheinlich denken die meisten Menschen an eine dieser Berufsbezeichnungen, wenn es darum geht, welche Rollen für das Gelingen einer Unternehmenstransformation wichtig sind.
Think diffferently!
Nachdem wir vor ziemlich genau einem Jahr unser eigenes Geschäftsmodell und Betriebssystem radikal neu aufgestellt haben, können wir sagen:
Ähnlich wie bei großen Bauprojekten, Filmproduktionen oder dem Großziehen von Kindern – das Ergebnis ist immer ein kollektiver Kraftakt. So auch unser Unternehmenswandel.
Und: Es sind nicht immer die offensichtlichen und vorab in Strategiemeetings sorgfältig vorbereiteten und festgelegten Rollen, die für eine Transformation entscheidend sind. Rückblickend waren es bei uns vor allem die ungeplanten und inoffiziellen Beiträge von Mitarbeitenden, die die Transformation weder aktiv initiiert noch verantwortet haben, die entscheidend zum nachhaltigen Erfolg beigetragen haben:
No.1: Der Umgang mit Wirklichkeitskonstruktionen - unsere Übersetzer:innen
Kommunikation in Change-Prozessen ist immer ein Drahtseilakt: Man versucht, eine authentische Geschichte zu erzählen, transparent und verständlich zu kommunizieren und dabei auf die unterschiedlichen (emotionalen) State-of-Minds der Mitarbeitenden einzugehen. Doch egal wie sorgfältig die Kommunikation geplant und umgesetzt wird, es liegt in der Natur der Sache, dass es zu Unklarheiten und Missverständnissen kommt. Nach dem Motto: Je tiefgreifender der Wandel, desto größer das Potenzial der Ver(w)irrung.
Auch wir sind davon nicht verschont geblieben. Was uns in diesem Fall besonders geholfen hat, waren Menschen, die, getrieben von ihrem Sinn für Genauigkeit und Konsistenz, nach Verkündigungen in der großen Runde direkte Verständnisfragen stellten und so verhinderten, dass sich Missverständnisse verselbständigten. Geleitet von ihrer Erfahrung und kulturellem Feingefühl haben sie sich als Art ‚Übersetzer:innen‘ in den Diskussionsrunden getraut, ihre eigene Interpretation des jeweiligen Themas zu teilen. Dies wiederrum hat die (Selbst-)Reflektion innerhalb unserer gesamten Organisation gefördert. Anders als man vermuten könnte, haben ihre Übersetzungen nicht zu einer weiteren kollektiven Konfusion oder Verfestigung der stillen Post geführt. Vielmehr haben ihre Interpretationen gerade in Zeiten der Unsicherheit und Überforderung Klarheit geschaffen, kontraproduktiven Narrativen entgegengewirkt und dafür gesorgt, dass andere auf unserem Weg nicht verloren gehen und buchstäblich nicht ‚lost in translation‘ sind.
No.2: Loslassen als Teil der Erneuerung - unsere Trauerbegleiter:innen
Transformationen starten immer mit einem Ende. Denn der Wandel zu etwas Neuem bedeutet auch, Bestehendes loszulassen. In unserer Transition haben wir Dinge aufgelöst und verändert, in die viele Menschen nicht nur jahrelang Energie, Zeit und Leidenschaft investiert haben, sondern die für sie auch identitätsstiftend waren. Es galt Abschied zu nehmen von festen Teamstrukturen und Zugehörigkeiten. Ebenso wie von bisherigen Mandaten und Verantwortlichkeiten, da wir disziplinarische Managementrollen abgeschafft und Verantwortung durch rollenbasiertes Arbeiten dezentralisiert haben.
Um Raum für Neues zu schaffen, war es wichtig, das Alte zu würdigen und dem Abschiedsprozess eine Daseinsberechtigung sowie ausreichend Verständnis und Zeit zu geben. Interessanterweise haben sich ganz organisch Menschen in der Organisation als Trauerbegleiter:innen erwiesen. Sie haben den anderen ein offenes Herz und Ohr geschenkt und Verständnis sowie Mitgefühl ausgedrückt. Ihre Superkraft: Sie konnten für sich und andere den Raum zum Trauern (aus-)halten und dabei feinfühlig neue Perspektiven eröffnen.
Ohne sie hätten wir weder die Akzeptanz noch die Mitarbeit für unseren Wandel erreichen können.
No.3.: Vorbilder, die das Neue wagen – unsere Köch:innen
Ein neues Betriebssystem wird erst dann richtig zum Leben erweckt, wenn die Menschen, die davon betroffen sind, es mit ihren ganz eigenen Ideen, Gedanken und Aktionen befüllen und weiterentwickeln.
So gab es auch während unseres Wandels Menschen, die wie Köch:innen, Experimente im neuen System gewagt und damit aktiv neue Realitäten geschaffen haben. Sie haben sich die neuen Zutaten angeschaut und begonnen mit ihnen herumzuexperimentieren. Zum Beispiel die Menschen in unserer Organisation, die den neuen Gestaltungsspielraum durch die (zeitliche) Flexibilisierung unserer Arbeitsweise direkt für sich genutzt haben. Geleitet durch ihre eigenen Visionen, Geschmäcker und Interpretationskraft haben sie neue Gerichte und Menüs kreiert, die andere dazu inspiriert haben, sie nachzukochen oder nach ihrem Geschmack anzupassen. Als Vorbilder haben sie Mut gemacht und die Angst vor dem Ausprobieren genommen. Durch ihre Experimente haben sie erfahrbar gemacht, wie und was funktionieren kann und woran man sich unter welchen Umständen verbrennen kann.
Mit ihren Kreationen haben sie dadurch unser (Betriebs-)System aktiv mitgestaltet und weiterentwickelt.
No.4: Widerstand als Ressource nutzen- unsere Ankläger:innen
Widerstand in Transitionsprozessen verdient Aufmerksamkeit und kreative Würdigung. Grundsätzlich können widerstrebende Kräfte (systemtheoretisch) als Zeichen eines stabilen, sich selbst erhaltenden Systems gesehen werden. Das ist eine vielversprechende Voraussetzung für das neue System. Außerdem kann Widerstand immer auch als eine Art Beziehungsangebot gesehen werden, denn sonst wäre die Sache für diejenigen bedeutungslos und sie würden dafür keine Energie aufbringen (wollen).
So hätten wir unsere Transformation weniger adaptiv gestaltet und letztendlich nicht die Akzeptanz und Ergebnisse erzielen können, wenn wir dieses Korrektiv ignoriert und das damit einhergehende Potenzial ungenutzt gelassen hätten.
Dazu haben Menschen beigetragen, die mit Mut und Integrität auf Widersprüche und Ungereimtheiten im Design, im Prozess oder in der Kommunikation hingewiesen haben. Beherzt vertraten sie Ansichten, die andere auch teilten aber nicht aussprachen und repräsentierten etwas im System, das beachtet werden wollte: Als ‚Anklänger:innen‘ haben sie uns wertvolles Feedback geschenkt und unsere Aufmerksamkeit auf wichtige Dinge gelenkt. So haben wir mit einer Kultur der Meinungsvielfalt und des konstruktiven Widerspruchs mehr gewonnen als verloren.
No.5: Die Achtung vor dem Change-Overload - unsere Gemeindewachtmeister:innen
Wir haben uns viel zugemutet und an (fast) allen Stellschrauben gedreht, an denen man in einem unternehmerischen System drehen kann. Und das in einem hohem Tempo: Von der ersten Ankündigung bis zur Systemumstellung vergingen keine 4 Monate. Mit unserem adaptiven Change-Ansatz haben wir nicht nur kontinuierlich neue Dinge eingeführt, sondern sie auch kurzerhand iteriert, wenn sie nicht funktioniert haben. Das hat nicht nur die Bereitschaft nach Veränderung auf die Probe gestellt, sondern auch die Resilienz und Geduld von uns allen. Unsere Gemeindewachtmeister:innen haben dabei entscheidend dazu beigetragen, dass die Transformation trotzdem funktioniert hat. Der ‚historisch offizielle‘ Auftrag von Gemeindewacht-meister:innen war es in einer Gemeinde für Ruhe und Ordnung zu sorgen. In unserem Kontext waren das Personen mit einem feinem Gespür für die aktuelle Grundstimmung und die Bedürfnisse der Menschen. Sie haben uns insbesondere auf den Veränderungs(over)load und die emotionale Gefühlslage sensibilisiert. Ihre Impulse waren nicht nur entscheidend für unsere Kommunikationsstrategie. Sie haben auch dazu geführt, dass wir unserer Transformationsgeschwindigkeit angepasst und unsere Initiativen konsequent hinterfragt, pausiert oder verschoben haben. Durch sie konnten wir im Prozess die Balance zwischen Veränderung und Stabilität besser finden und sind mit einer (künstlichen) Verlangsamung manchmal schneller ans Ziel angelangt.
Wertschätzung, kollektive Kreation und Anpassungsbereitschaft mit transformativer Wirkung
Eine erfolgreiche Unternehmenstransformation wird getragen von Visionskraft, kontinuierlicher (Zusammen-) Arbeit, Perspektivenvielfalt und dem Wunsch nach einer anderen und besseren Zukunft. Sie ist das Produkt aus unterschiedlichen Beiträgen und somit nicht die Leistung einer einzelnen Person, sondern ein kollektives Unterfangen. Ihr Erfolg hängt davon ab, wie mutig Transformationsverantwortliche und Unternehmensleiter:innen die verschiedenen Potenziale, Stärken und Perspektiven der Mitarbeitenden wertschätzen und sie als Asset für den Wandel zu nutzen wissen. Es mag zwar zusätzliche Energie und Durchhaltevermögen abverlangen aber die Rechnung geht - zumindest in unserer Transition - auf: Durch stärkenbasierte Ko-Kreation haben wir bessere Lösungen fürs System entwickelt und sind schneller in den gewünschten Zielzustand übergegangen. Es lohnt sich also, offen zu bleiben, vom Vorgesehenen auch mal abzurücken und die (unerwarteten) vielfältigen Beiträge von Mitarbeitenden aktiv in den Transformationsprozess miteinzubeziehen.