Radikale Kreativität und neue Narrative: Warum wir Strategiearbeit neu denken sollten
von Kristina BonitzWir stehen aktuell vor der größten Herausforderung unserer Geschichte: die fortschreitende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Laut Wissenschaftler:innen wird 2023 als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem wir Menschen unsere Unfähigkeit zur Bewältigung der Klimakrise offenbart haben. Und währenddessen versuchen wir weiterhin uns mit Lippenbekenntnissen durchzumogeln und krampfhaft, möglichst viel vom Alten zu bewahren.
Die größte Transformationsaufgabe der Menschheit lässt sich jedoch nicht allein durch gute Absichten, ein bisschen Vernunft, viele Richtlinien, Regeln und den minimal geforderten Schritten lösen - sorry, to bring this down to you.
Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Wenn es uns gelingt, unsere Perspektive zu ändern und einen Moment aus dem Krisenmodus herauszutreten, dann können wir erkennen, dass wir die historische Chance haben, uns mit vereinten Kräften einer radikalen und wunderschönen Frage zu widmen: Wie wollen wir eigentlich (über)leben?
Denn um nichts weniger geht es aktuell. Und die strategischen Antworten darauf sind bisher überraschend nüchtern, zurückhaltend, langweilig und uninspiriert.
Was wäre, wenn nachhaltiges Wirtschaften keine Schwundversion der Gegenwart wäre, sondern die Chance auf ein innovativeres, bewussteres, vielleicht sogar glücklicheres Morgen? Wenn am Ende der Transformation kein Verlust steht, sondern der Gewinn einer besseren Version von uns selbst, der Organisationen, in denen wir arbeiten, und der Wirtschaft, in der wir Wert schaffen? Und wir diese Veränderung mit begeisterter Konsequenz leben und umsetzten würden, statt uns in Resignation zu flüchten mit “wir müssten mal”, fadenscheinigen Ausreden und 100-seitigen Strategiepapieren, die schnell wieder in der Schublade verschwinden?
Was es jetzt braucht, ist ein neues Verständnis von Strategie. Denn wir werden diese komplexen und elementaren Fragen und Herausforderungen nicht allein mit technologischen Innovationen, Kennzahlen, optimierten Prozessen und korrektem Reporting beantworten. Unternehmungen und die Wirtschaft im Kern nachhaltig zu verändern und in volatilen Zeiten resilient aufzustellen, wird uns nicht allein mit rationalen Strategie-Tools gelingen.
Denn dafür braucht es den kollektiven Willen, die Motivation und den Mut von uns allen – und um das zu befeuern, braucht es neue Lösungsansätze:
Radikale Transformation und Konsequenz – ran an die Wurzeln
Wir werden uns durch die Nachhaltigkeitskrise nicht durchmanagen können, in dem wir versuchen sie vernünftig zu administrieren und uns möglichst wenig Veränderung zuzumuten. Wir können ihr nur mit radikaler Konsequenz in der Veränderung begegnen. Anstatt uns also von Nostalgie, Unsicherheit, Zweifel und Klein-Klein lähmen zu lassen, sollten wir den tiefgreifenden Wandel aktiv gestalten und lieben lernen. Denn dann würde sich unsere Energie nur noch aufs Hinkriegen, statt auf Hadern konzentrieren. Und das Brechen und Hinterfragen von Konventionen und Systemen wird zum Default.
Denn es geht nicht nur darum, Schäden zu minimieren, sondern aktiv zu positiven Veränderungen beizutragen und regenerative Prozesse zu gestalten. Das bedeutet im Kern: mehr zu geben als zu nehmen.
Lasst uns Dinge radikal neu denken, bestehende Normen, Systeme und Strukturen in Frage stellen und den Mut aufbringen, Altes und Gewohntes loszulassen. Lasst uns die Art und Weise wie wir Wirtschaften und Erfolg definieren, neu gestalten und als Spielsteine verstehen, die wir auseinandernehmen und neu zusammensetzen können. Denn alles ist Gestaltungsmasse und veränderbar – auch das Zielsystem. Anstatt uns also mit oberflächlichen Schönheitsreperaturen aufzuhalten, sollten wir wagen, das Backend unserer Wirtschaft und Gesellschaft konsequent neu zu gestalten.
Kreativität entfesseln - von Verzichtsdenken zur Vorstellungskraft
Oft besteht Strategiearbeit aktuell darin, zu versuchen aus der Vergangenheit eine Zukunft abzuleiten und dann Wege zu skizzieren, um mit möglichst wenig Aufwand und Veränderung dort hinzukommen. Doch um die Herausforderungen unserer Zeit zu lösen, braucht es wieder mehr kreatives Feuer. Wir brauchen dringend mehr Vorstellungskraft und innovativere und lebendigere Ideen in Sachen Nachhaltigkeit. Denn Richtlinien und Reporting sind zwar wichtig, sie hemmen aber auch unsere Kreativität und unseren Spielgeist und werden unsere Nachhaltigkeitsherausforderungen alleine nicht lösen.
Lasst uns den Moment als Chance begreifen, mal wieder über den Rand hinaus zu malen, Grenzen zu sprengen und noch nie zuvor Dagewesenes zu erschaffen. Radikale Kreativität als schöpferische Kraft, als Motor für Innovation. Von Problem zu Potenzial. Ohne uns durch perfektionistischen Korrektheitswahn hemmen zu lassen – denn der Druck, immer alles richtig zu machen, hindert uns oft daran, neue Ideen zu entwickeln. Er führt eher dazu, dass wir uns immer weniger zutrauen, und Angst haben irgendwas falsch zu machen. Kreativität blüht in einem Umfeld des Experimentierens auf. Lasst uns Strategie wieder als kreativen Lernprozess verstehen, der niemals endet. Um aus Sehnsucht und Hoffnung nach der Zukunft heraus, Neues zu entwerfen. Denn wir brauchen jetzt vor allem unbändige Kreativität im Namen von nachhaltiger Verantwortung.
Neue Narrative für eine lebenswerte Zukunft
Fast nichts ist so mächtig, wie gute Geschichten: Sie verändern unsere Perspektive, beeinflussen unser Handeln und Denken, tragen kollektive Glaubenssätze durch die Welt und stiften Identität. Geschichten haben uns zum Mond fliegen lassen. Sie bestimmen, wie wir leben und waren schon immer der größte Antrieb für Transformation.
Sie sind das wichtigste Tool, um Menschen in eine nachhaltige Zukunft zu verführen. Denn rein rational werden sich nicht alle motivieren lassen. Sonst hätten Weltklimaberichte und aktuelle Umweltkatastrophen schon längst ihre Wirkung gezeigt.
Es braucht neue, frische Narrative, die Menschen emotional berühren und Lust auf Transformation und ein nachhaltiges Morgen machen. Denn seid mal ehrlich: Wie oft habt ihr schon etwas Großartiges aus einem Zustand der Angst heraus kreiert? Wenn es uns gelingt, Liebe und Leidenschaft für Nachhaltigkeit und Transformation – die uns unausweichlich bevorsteht – zu entfachen, kommen wir vielleicht weiter als wir es momentan zu wagen hoffen.
Zukunft ist nichts Festgeschriebenes, sie wird durch die Narrative geformt, die wir uns gegenseitig erzählen. Also lasst uns anfangen, inspirierende Geschichten zu schreiben, die Menschen dazu befähigen und motivieren, eine nachhaltige Wirtschaft innerhalb planetarer Grenzen zu gestalten und aktiv an der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft zu arbeiten.
Narrative, die uns wieder den Mut, den Tatendrang, die Energie und die Lebensfreude geben, die notwendig sind, um Veränderung herbeizuführen. Denn dieses Gefühl stellt sich beim Lesen der aktuellen Nachhaltigkeitsreports und Unternehmensstrategien höchst selten ein. Geschichten, die uns zeigen, wie wir ins Handeln kommen, statt in theoretischen Diskussionen stecken zu bleiben. Weg von der Problemfixierung hin zu einer Lösungsperspektive. Um nicht nur ein „weg von“, sondern auch ein starkes „hin zu“ zu haben. Lasst uns die nachhaltige Transformation unwiderstehlich machen.
Strategie als kollektiver Willensakt
Doch eins ist klar: So lange wir Strategie nicht als kollektives Wollen und Durchziehen verstehen, können wir uns sämtliches Purpose-Gelaber sparen. Wir brauchen Unternehmen, die nachhaltiges Wirtschaften nicht als radikales Wagnis, sondern als Möglichkeit für eigene positive Wirksamkeit verstehen.
Zukunft ist keine ferne Utopie, sondern die Summe unserer Entscheidungen. Angefangen bei der nächsten.