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Artikel
19. Aug. 2020

Customer Centricity – was Unternehmen von Paarbeziehungen lernen können

von Maria Meermeier
Paar, deren Oberkörper durch Vorhang verdeckt ist, sitzt in Fotobox

Customer Centricity in Unternehmen funktioniert nach ähnlichen Mechanismen wie eine stabile Paarbeziehung. Auf dem Weg dahin gilt es – wie im echten Leben – Erfolgserlebnisse zu genießen, Erfahrungen zu sammeln, Frustrationsmomente auszuhalten und daraus zu lernen.

Einer der zentralen Sätze aus der Paartherapie lautet: „Es ist eigentlich egal, mit wem du zusammen bist.“ Die meisten Beziehungsprobleme haben vor allem mit einem selbst zu tun. Wichtiger als das Verhalten des Gegenübers (und die Kritik daran) ist deshalb die Fähigkeit, eigene Verhaltens- und Denkweisen zu reflektieren und weiterzuentwickeln.

Der Schlüssel ist die eigene Haltung. Das gilt für Beziehungen genauso wie für Unternehmen, die sich Customer Centricity auf die Fahnen schreiben. Das Problem ist nur, dass niemand mit diesem Wissen geboren wird. Sowohl Menschen als auch Unternehmen brauchen eine gewisse Reife, gewisse Erfahrungswerte, um Beziehungen kompetent und langfristig gestalten zu können.

Hier ist, was unser Beziehungsverhalten uns über Kundenzentriertheit lehren kann:

Hätte, hätte – das Leben ist kein Konjunktiv

Beginnen Unternehmen sich mit Kundenzentriertheit zu beschäftigen, ähnelt das oft den Schulhofliebeleien von früher. Den Anfang macht bei beiden eine einfache „Ja-Nein-Frage“. In der Schule: gekritzelt auf einen Schmierzettel, zugesteckt während des Unterrichts, exekutiert durch verlegenes Händchenhalten und schüchterne Blicke.

Bei Unternehmen: Gestellt in einem breit angelegten Online-Panel. „Könnten Sie sich vorstellen, dieses Produkt zu kaufen?“ Wie bei der Schulhof-Liaison sind auch die NutzerInnen meist schnell mit dem „Ja“. Vorstellen kann man sich schließlich Vieles im Leben. Aber die Entscheidung gegen das altbewährte Produkt im Supermarkt oder für das Aufräumen des Smartphone-Speichers zugunsten der neuen App, sind im Alltag knallharte Entscheidungen.

Auf Basis von „Könnten Sie sich vorstellen“-Fragen werden immer noch Millionenbudgets freigegeben. Auf dieser Grundlage werden reale Produkte hergestellt, die dann an echten Entscheidungen scheitern. Nach der ersten Auseinandersetzung mit Customer Centricity bleiben meist Enttäuschung und die Erkenntnis, dass ein „Ja“ auf dem Zettel eine Möglichkeit, aber kein Versprechen ist.

Trial and Error – Erfahrungen für die Beziehungsreife

Teil des Reifeprozesses ist für viele Menschen und Unternehmen eine Zeit des Ausprobierens. Im realen Leben ist diese Phase gern in den Zwanzigern verortet, von Unverbindlichkeit, Abenteuerlust und Momenten der Ernüchterung geprägt.

Im Unternehmen bedeutet das eine neue Art der Auseinandersetzung mit Customer Centricity. Zum Beispiel probiert man im Rahmen von Innovationsworkshops, reale Eindrücke von der Zielgruppe zu gewinnen. Dazu wird nicht länger nur irgendeine anonyme Masse befragt. Es werden Menschen auf der Straße zu ihren Präferenzen, Gewohnheiten, Motivationen interviewt.

So vielversprechend diese Methode auf den ersten Blick scheint, so häufig scheitert sich doch spätestens beim zweiten Anlauf an den Realitäten im Unternehmen. Steht die nächste Produktinnovation an, ist die Zeit einfach zu knapp, Erfahrungswerte werden doch nicht mehr von echten NutzerInnen sondern den eigenen KollegInnen gewonnen und am Ende entscheidet doch die Führungskraft nach ihrem „Bauchgefühl“.

Kundenzentriertheit bleibt in diesem Kontext auf dem Niveau eines One-Night-Stands stecken. Der hat dann zwar vielleicht Spaß gemacht hat, aber auch nicht lange gewährt.

Partnerschaft – eine Beziehung auf Augenhöhe

Viele Nächte und verkaterte Tage nach dem ersten One-Night-Stand stellt man fest, dass diese Art von „Beziehungen“ auf die Dauer anstrengend ist und ziemlich viel Energie kostet. Im echten Leben wird also der Tinder-Account gelöscht und das Date, mit dem man eh schon immer die besten Gespräche an der Bar geführt hat, endlich mal bei Tageslicht betrachtet.

Auch in Unternehmen reifen folgende Erkenntnisse:

  • Um gute Produkte zu entwickeln, braucht es regelmäßiges KundInnenfeedback.
  • Um innovative Produkte zu entwickeln, braucht es andere Insights, als sie Marktforschungsstudien oder Fußgängerzonen-Befragungen generieren.
  • Um KundInnen langfristig an sich zu binden, braucht es ein tiefgreifendes Verständnis für ihre Bedürfnisse entlang der Customer Journey.

Wenn nun die Frage aufkommt, wie man das denn praktisch umsetzt, würde ich, halb Consultant, halb (selbsternannte) Paartherapeutin, Unternehmen folgende Beziehungs-Tipps mit auf den Weg geben:

Etabliert Routinen: Tauscht euch regelmäßig mit KundInnen aus. Und zwar nicht erst bei der nächsten Marktforschungsstudie oder Innovation Week. Ermöglicht Innovations- und Produktteams, beispielsweise bei Customer-Feedback-Days, direkt Resonanz einzuholen.

Nehmt die rosarote Brille ab: Fangt an, die Ecken und Kanten eurer KundInnen zu sehen und sie dafür zu lieben. Das, was man erst auf den zweiten Blick sieht, bietet meist das größte Potential für Produktinnovationen.

Lasst Euch drauf ein: Nehmt euch Zeit, lernt eure KundInnen wirklich kennen. Wie sieht ihre Journey wirklich aus? Was passiert links und rechts von euren Touchpoints? Welche Hilfsmittel setzen sie ein, welche Workarounds haben sie sich überlegt, weil euer Produkt ein Feature (noch) nicht bietet?

Das Wichtigste zum Schluss: Seid neugierig und behandelt eure KundInnen auf Augenhöhe. Sie können euch zwar nicht das unternehmerische Risiko abnehmen, aber sie können euch als starke Partner dabei helfen, dieses Risiko weitestgehend zu minimieren.

Wir freuen uns über Projektanfragen

Maria Meermeier,

Business Partnerin Digital Growth